Lieber Leser,
heute möchte ich die Frage besprechen, welche Zahlungen ein Ehegatte im Fall einer Scheidung unter Umständen noch an den anderen Ehegatten leisten muss (Zugewinn).
In dem Fall, den ich Ihnen dazu vorstellen möchte, geht es um zwei Eheleute, von denen einer während der Ehe höhere wirtschaftliche Beiträge für den Kauf einer gemeinsamen Immobilie geleistet hat als der andere und um eine Erbschaft, die bei der Trennung der Eheleute nicht mehr vorhanden ist.
Sie werden sehen, dass die gegenseitigen Ansprüche der Eheleute für Sie möglicherweise überraschend sind und unter Umständen nichts mit Ihrer Vorstellung von Fairness zu tun haben.
Ich werde Ihnen ebenfalls Möglichkeiten aufzeigen, wie Sie individuelle Regelungen treffen können, um möglicherweise unfaire Ergebnisse zu vermeiden.
Dabei bitte ich Sie zu beachten, dass durch die Beschreibung der Fallsituation eine individuelle Beratung in keinem Fall ersetzt werden kann.
Tipp: Informieren Sie sich vor einer beabsichtigten Trennung über Ihre persönliche rechtliche Situation! Behalten Sie dabei im Hinterkopf, dass Sie auch individuelle Lösungen finden dürfen.
Die Kenntnis der rechtlichen Situation ist jedoch immer erforderlich, damit sich im Nachhinein keiner der Eheleute „über den Tisch gezogen fühlt“.
Ihre Christine Holle
Schauen wir uns nun den Fall an und betrachten zunächst die Vorgeschichte der Ehe und ihres Auseinanderbrechens bis hin zum Auftauchen des Zugewinnproblems:
Drei Stationen einer Ehe
Die wirtschaftliche und persönliche Situation bei Heirat
Die Eheschließung von Herrn und Frau M. fand am 03.05.2009 (Datum geändert) statt. Frau M. studierte im 3. Semester Psychologie und hatte bei der Heirat keine Schulden und kein Vermögen. Herr M. war berufstätig und hatte einen großen Karrieresprung vor sich. Herr M. hatte zu Beginn der Ehe jedoch Schulden in Höhe von 5.000 €, da er die gesamte – sehr teure – Hochzeit des Paares im Ausland vorab bezahlt hatte. Einen Ehevertrag schlossen die Eheleute nicht.
Die wirtschaftliche Situation während der Ehe
Herr M. verdiente sehr gut und finanzierte bis Ende 2011 den Lebensunterhalt sowie Reisen etc. der Eheleute alleine. Frau M. studierte bis Ende 2011 und begann Anfang 2012 eine Tätigkeit als Psychologin in einem Verein. Im Juni 2012 erbte Frau M von ihrer Großmutter einen Betrag von 200.000 €, von dem sie 150.000 € für eine kostenintensive Therapieausbildung bezahlte, die sie im Jahr 2014 abschloss.
Anfang 2015 kauften die Eheleute nach einer großen Ehekrise als Neubeginn gemeinsam ein Haus. Von dem Kaufpreis in Höhe von 400.000 € bezahlte Herr M. den Löwenanteil in Höhe von 350.000 € und Frau M. 50.000 €. Beide Eheleute waren zu gleichen Teilen im Grundbuch eingetragen. Regelungen, die die unterschiedlichen Zahlungsbeiträge berücksichtigten oder einen Ehevertrag schlossen die Eheleute nicht.
Ende 2015 hatte Herr M. eine Affäre mit einer jüngeren Kollegin, aus der ein Kind entstand.
Die persönliche und wirtschaftliche Situation zur Trennung
Die Eheleute trennten sich am 03. März 2016. Frau M. war sehr verletzt über die Trennung, wollte sich jedoch vernünftig mit ihrem Mann einigen. Zum Zeitpunkt der Trennung besaßen die Eheleute das gemeinsame Haus mit einem Wert von 400.000 €. Weiteres Vermögen oder Schulden hatten die Eheleute nicht.
Herr und Frau M. waren sich darüber einig, dass gemeinsame Haus zu verkaufen. Frau M. wollte von dem Verkaufserlös von 400.000 € einen Betrag von 150.000 €, um sich für einen Neuanfang eine Wohnung kaufen und stellte ansonsten keine Ansprüche.
Herr M. war damit nicht einverstanden und fand den Betrag zu hoch. Er ging davon aus, dass Frau M. die Summe von 50.000 € bekommen sollte, die sie in das Haus investiert hatte und war bereit, noch einen weiteren Betrag in Höhe von 50.000 €, insgesamt also 100.000 € zu bezahlen.
Hat Herr M. Recht?
Der Zugewinn
Ich musste Herrn M., der mich zu dieser Frage aufsuchte, erklären, dass seine Vorstellung von Gerechtigkeit nichts mit der rechtlichen Situation zu tun hat und er im Fall eines Streites verpflichtet wäre, erheblich mehr an seine Frau zu bezahlen.
Das liegt zum einen daran, dass bei gemeinsamem Miteigentum – wenn keine andere Regelung dazu beim Kauf oder später getroffen wurde – jedem Ehegatten die Hälfte des Verkaufserlöses abzüglich bestehender Verbindlichkeiten zusteht, unabhängig davon, wie hoch die einzelnen finanziellen Beiträge der Eheleute zum Kauf der Immobilie waren.
Da die Eheleute M. keine Regelung getroffen haben, stehen Frau M. vom Verkaufserlös damit rechtlich 50% bzw. 200.000 € zu. Daneben können zusätzlich noch Ansprüche bestehen, wenn einer der Ehegatten während der Ehe einen höheren Vermögenszuwachs als der andere Ehegatte erzielt hat (Zugwinnausgleich).
So ist es auch hier. Dies liegt an der Besonderheit, dass Schenkungen und Erbschaften im Zugewinn rechtlich begünstigt werden und zu einem unerwarteten Ergebnis führen, wenn sie zum Zeitpunkt der Berechnung des Zugewinns nicht mehr vorhanden sind.
Schauen wir uns dazu zunächst an, was der Zugewinn ist und wie man ihn berechnet:
Was ist der Zugewinn?
Wenn Eheleute keinen notariellen Ehevertrag geschlossen haben, leben sie automatisch im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft.
Zugewinngemeinschaft bedeutet nicht, dass das Vermögen beider Ehegatten in einen Topf geworfen wird und ihnen gemeinsam zur Hälfte gehört, sondern, dass bei der Beendigung der Ehe durch eine Ehescheidung ein Vergleich zwischen dem Vermögen beider Eheleute am Tag der Eheschließung und zum Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags erfolgt.
Der Ehegatte der während der Ehe das höhere Vermögen erzielt hat, ist dem anderen Ehegatten im Rahmen des Zugewinns zum Ausgleich der hälftigen Differenz verpflichtet.
Die Eheleute M. haben wie die überwiegende Mehrheit der Eheleute in Deutschland keinen Ehevertrag geschlossen, so dass bei Beendigung der Ehe ein Anspruch auf Durchführung des Zugewinnausgleichs besteht.
Wie wird der Zugewinn berechnet?
Die Berechnung des Zugewinns erfolgt zu zwei konkreten Stichtagen. Für das Vermögen zu Beginn der Ehe, das sogenannte Anfangsvermögen, werden das Vermögen und die Verbindlichkeiten jedes Ehegatten zum Zeitpunkt der Heirat zu Grunde gelegt.
Achtung! Besonderheiten beim Anfangsvermögen.
- Dem Anfangsvermögen werden daneben auch Schenkungen und Erbschaften von Dritten (nicht der Ehegatten untereinander) unabhängig davon, wann sie nach der Heirat bis zur Zustellung des Scheidungsantrags erworben wurden, zugerechnet. Das bedeutet, dass die Erbschaft der Großmutter von Frau M. dem Anfangsvermögen zugerechnet wird.
- Eine weitere, kuriose Besonderheit besteht darin, dass das Anfangsvermögen auch negativ (kleiner als Null) sein kann. Das bedeutet für den konkreten Fall, dass bei Herrn M. der Betrag von – 5.000 € im Anfangsvermögen einzusetzen ist, da er am zum Tag der Heirat Schulden hatte.
Für das Vermögen zum Ende einer Ehe, dem Endvermögen, ist der Tag der Zustellung des Scheidungsantrags relevant. Bei einer einvernehmlichen Regelung können sich die Eheleute jedoch auf einen anderen Stichtag als den Tag der Zustellung des Scheidungsantrags für die Berechnung des Zugewinns einigen. In dem vorgestellten Fall verständigten sich die Eheleute im Rahmen einer einvernehmlichen Lösung letztendlich für die Berechnung des Zugewinns auf den 01. Februar 2017 (Tag geändert) anstelle des Tags der Zustellung des Scheidungsantrags (der ja noch nicht erfolgt war).
Zu den Stichtagen des Anfangsvermögens, des Trennungsvermögens und des Endvermögens gibt es gegenseitig den Anspruch auf Auskunftserteilung. Die Auskunft muss belegt werden. Da dieser Punkt bei uns nicht streitig ist, und wir uns die Berechnung an unserem individuellen Fall anschauen wollen, gehe ich an dieser Stelle nicht darauf ein.
Wie sieht es in unserem Fall nun konkret mit der Berechnung des Zugewinns aus?
Konkrete Zahlen im Fall der Eheleute M.
- In das Anfangsvermögen fallen wie oben bereits gesagt alle Vermögenswerte sowie alle Verbindlichkeiten, die ein Ehegatte zum Stichtag der Eheschließung hat.
- Daneben werden dem Anfangsvermögen auch Schenkungen und Erbschaften von Dritten (nicht der Ehegatten untereinander) unabhängig davon, wann sie nach der Heirat bis zur Zustellung des Scheidungsantrags erworben wurden, zugerechnet.
Anfangsvermögen Herr M. am Tage der Hochzeit | Anfangsvermögen Frau M. am Tage der Hochzeit |
Vermögen: 0,00 € Verbindlichkeiten: – 5.000,00 € Erbschaften: 0,00 € Schenkungen: 0,00 € | Vermögen: 0,00 € Verbindlichkeiten: 0,00 € 200.000 € Erbschaft im Juni 2012* Schenkungen: 0,00 € |
Gesamtergebnis: – 5.000,00 € | Gesamtergebnis: 210.221,00 €* |
Die Erbschaft von Frau M. im Juni 2012 fällt in das Anfangsvermögen. Das Anfangsvermögen ist zu indexieren, um die Inflation zu berücksichtigen. Die Indexierung erfolgt nach dem Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte. Dieser Preisindex wird in Indextabellen vom Statistischen Bundesamt festgelegt. Der Indexwert für Juni 2012 beträgt 103,7 und für März 2017 109,00 €. Für die Indexierung wird der von Frau M. im Juni 2012 geerbte Betrag von 200.000 € mit dem Indexwert zum Tag der Zustellung des Scheidungsantrags 109,0 multipliziert und durch den Indexwert im Monat des Erbes 103,7 geteilt.
*Es ergibt sich damit ein indexiertes Anfangsvermögen von Frau M. in Höhe von 210.221 € (abgerundet).
Stichtag für das Endvermögen ist grundsätzlich die Zustellung des Scheidungsantrags. Die Eheleute haben sich für die Berechnung einvernehmlich auf den 1. Februar 2017 geeinigt.
Zu diesem Tag sieht das Vermögen in unserem Fall wie folgt aus:
Endvermögen Herr M. am Tage der Scheidungszustellung | Endvermögen Frau M. am Tage der Scheidungszustellung |
50% Miteigentumsanteile Haus: 200.000 € Schulden: 0,00 € | 50% Miteigentumsanteile Haus: 200.000 € Schulden: 0,00 € |
Gesamtergebnis: 200.000 € | Gesamtergebnis: 200.000 € |
Als Zugewinn bezeichnet man die Differenz zwischen dem Anfangsvermögen zu Beginn einer Ehe und dem Endvermögen bei der Zustellung des Scheidungsantrags.
Bei Herrn M. beträgt der Zugewinn 205.000,00 € (Differenz zwischen dem Anfangs-vermögen von – 5.000 € und dem Endvermögen von 200.000 €).
Bei Frau M. beträgt der Zugewinn eigentlich – 10.221 € (Differenz zwischen dem Anfangsvermögen von 210.221 € und dem Endvermögen von 200.000 €).
Einen negativen Zugewinn gibt es rechtlich nicht. In diesem Fall wird der Zugewinn mit 0 € angesetzt.
Jetzt werden die zwei Zugewinnwerte der Eheleute verglichen:
Die Differenz zwischen dem Zugewinn von Herrn M. und Frau M. beträgt 205.000 € (205.000 € – 0 €).
Dem Ehegatten mit dem geringeren Zugewinn, steht die Hälfte der Differenz zwischen seinem Zugewinn und dem Zugewinn seines Ehegatten als Zugewinn-ausgleich zu.
Das bedeutet, dass Frau M von Herrn M einen Zugewinn von 102.500 € verlangen kann. Daneben steht ihr noch der hälftige Kaufpreis für das Haus in Höhe von 200.000 € zu.
Rechtlich bekäme Frau M. daher 200.000 € aus dem Hausverkauf sowie einen Zugewinn in Höhe von 102.500,00 €, das heißt insgesamt 302.500 €.
Das liegt wie eingangs beschrieben daran, dass die Erbschaft von Frau M. zum einen das Anfangsvermögen erhöht und im Endvermögen nicht mehr vorhanden ist, weil Frau M. das Geld für ihre Ausbildung ausgegeben hat.
Kann man den Zugewinnausgleich auch anders durchführen?
Ja, die Eheleute haben das Recht, individuelle Vereinbarungen zum Zugewinn zu treffen, wenn sie das Ergebnis nicht fair finden. Sie können daher den Zugewinn ganz ausschließen oder aber anders berechnen. Damit müssen jedoch beide Eheleute einverstanden sein.
Wichtig ist auch, dass beiden Eheleuten das Prinzip, wie der Zugewinn berechnet wird klar ist, damit sie bewusst auf etwas „verzichten“ was ihnen rechtlich zusteht.
Achtung ! Jede Regelung zum Zugewinn und zum Güterstand vor einer Scheidung ist formbedürftig und muss notariell beurkundet werden.
Über die Möglichkeiten sollten Sie sich rechtlich beraten lassen. Wenn sie sich einig sind, können Sie auch gemeinsam einen Anwalt aufsuchen und mit diesem besprechen, was sie sich vorstellen oder gemeinsam eine Lösung suchen.
Dabei ist es jedoch wichtig, dass alle Berechnungsgrundlagen offen gelegt werden, damit sich nachträglich nicht einer der Eheleute „über den Tisch gezogen fühlt“ und eine notarielle Vereinbarung angreift. Von einer solchen Situation hat keiner der Eheleute etwas.
Es besteht auch die Möglichkeit, eine Mediation durchzuführen, um einvernehmliche faire Lösung zu finden.
Im vorliegenden Fall fanden es beide Eheleute nicht fair, dass es noch einen Zugewinn gibt, weil die Erbschaft nicht mehr vorhanden war.
Was die Immobilie anbetraf, einigten sich die Eheleute auf eine Zahlung an Frau M. in Höhe von 120.000 €. Frau M. gestand dies zu, weil Herr M. die gesamte Hochzeit mit erheblichen Kosten bezahlt hatte und auch während der Ehe viele Dinge alleine finanziert hatte.
Herr M. verzichtete zudem auf seinen Anspruch auf Teilhabe an einer privaten Rentenversicherung von Frau M. in Höhe von 15.000,00 €. Die Eheleute vereinbarten noch eine monatliche Unterhaltszahlung an Frau M. bis Juni 2018 in Höhe von 400,00 € und verzichteten ansonsten wechselseitig auf Unterhalt.
Die Regelung wurde notariell beurkundet.
Achtung: Die Eheleute haben eine individuelle Lösung gewählt, weil sie diese einem Rechtsstreit vorgezogen haben. Dies ist nicht in jedem Fall möglich. Sie können sich jedoch beraten lassen. In einem gemeinsamen Gespräch finden Sie oft individuelle Lösungen, an die sie alleine nicht gedacht hätten.
Hätte sich etwas geändert, wenn Herr M. die Immobilie nur für sich gekauft, und dafür 50.000,00 € Kredit aufgenommen hätte?
Wir erinnern uns, dass Zugewinngemeinschaft nicht bedeutet, dass das gesamte Vermögen der Eheleute „in einen Topf“ geworfen wird.
Wenn Herr M. die Immobilie alleine gehört, steht Frau M. bei einem Verkauf nichts zu.
Es bleibt jedoch der Anspruch auf Zugewinn. Wie sieht es hier aus?
Sie wissen jetzt bereits, dass zunächst bei beiden Eheleuten ein Vergleich zwischen dem Vermögen am Tag der Heirat und am Tag der Zustellung des Scheidungsantrags vorgenommen wird.
Anfangsvermögen Herr M – 5.000 € (s.o.)
Anfangsvermögen Frau M 220.221 € (s.o.)
Endvermögen Herr M. | Endvermögen Frau M. |
Haus: 400.000,00 € Schulden (Kredit): -50.000,00 € | Vermögen: 50.000,00 € |
Gesamtergebnis: 350.000,00 € | Gesamtergebnis: 50.000,00 €* |
Sie wissen nun ebenfalls, dass es keinen negativen Zugewinn gibt und dass das Anfangsvermögen von Frau M. 0 € beträgt.
Bei Herrn M. beträgt die Differenz zwischen dem Anfangsvermögen von – 5.000 € und dem Endvermögen von 350.000 € 355.000 €.
Zwischen dem Zugewinn von Herrn M. von 355.000 € und Frau M. von 0,00 € besteht eine Differenz von 355.000,00 €. Frau M. steht in diesem Fall ein Zugewinn von 175.000 € zu.
Dies ist ein deutlicher Unterschied zu der Lösung in der tatsächlichen Fallkonstellation.
Tipp: Lassen Sie sich beim Kauf einer gemeinsamen Immobilie bei unterschiedlich hohen Beteiligungen am Kaufpreis einer Immobilie vorab über die Auswirkungen im Fall einer Trennung beraten.